Sterbehilfe — legal oder nicht?

Wird die assis­tier­te Ster­be­hil­fe straf­frei blei­ben? Wie ist die Rechts­la­ge nach dem Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­rich­tes, das das Ver­bot der gewerbs­mä­ßi­gen Ster­be­hil­fe (§ 217 StGB) für ver­fas­sungs­wid­rig erklärt hat? Die­sen und ande­ren Fra­gen ging die gemein­nüt­zi­ge Gesell­schaft cum ratio­ne aus Pader­born am ver­gan­ge­nen Don­ners­tag­abend in einer Online-Dis­kus­si­ons­ver­an­stal­tung nach.

„Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat ein Recht auf selbst­be­stimm­tes Ster­ben – als Teil des all­ge­mei­nen Per­sön­lich­keits­rechts – pos­tu­liert“, stellt Kers­tin Haar­mann, Geschäfts­füh­re­rin von cum ratio­ne, fest. „Ist die­ses Recht heu­te wirk­lich gewähr­leis­tet und was muss in die­sem Zusam­men­hang beach­tet oder geän­dert wer­den?“ lei­tet sie in die Ver­an­stal­tung ein.  Der Phi­lo­soph und Vize­prä­si­dent der Deut­schen Gesell­schaft für Huma­nes Ster­ben, Prof. Dr. Dr. Die­ter Birn­ba­cher, betrach­te­te das The­ma aus ethi­scher Sicht. Er beob­ach­tet dabei einen Wan­del in der Sicht auf das Lebens­en­de. Wäh­rend frü­her die unbe­ding­te Lebens­er­hal­tung obers­te Prio­ri­tät hat­te, erfährt heu­te das Selbst­be­stim­mungs­recht des Indi­vi­du­ums eine immer höhe­re Bedeu­tung. „Sobald ein Mensch selbst­be­stim­mungs­fä­hig ist, hat er das Recht, sei­nen eige­nen Wil­len zur Gel­tung zu brin­gen und damit Sou­ve­rä­ni­tät nicht nur über sei­ne Lebens­füh­rung, son­dern auch über sei­nen Tod“, fasst Birn­ba­cher die heu­ti­ge Auf­fas­sung der Medi­zin­ethik zusam­men.

Die­se Ent­wick­lung und das dar­auf auf­bau­en­de Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­rich­tes aus dem Febru­ar 2020 begrüß­te Dr. Dr. Flo­ri­an Wil­let, der Spre­cher des Ster­be­hil­fe­ver­eins Digni­tas, in der anschlie­ßen­den Podi­ums­dis­kus­si­on sehr. Nach­dem das bis dahin bestehen­de gene­rel­le Ver­bot der geschäfts­mä­ßi­gen Ster­be­hil­fe vom Gericht als ver­fas­sungs­wid­rig ein­ge­stuft wor­den ist, konn­ten Ster­be­hil­fe­ver­ei­ne wie Digni­tas auch in Deutsch­land ihre Arbeit auf­neh­men. Für Wil­let braucht es nun kei­ne Neu­re­ge­lung der Ster­be­hil­fe, son­dern viel eher eine Auf­he­bung der noch bestehen­den prak­ti­schen Ver­bo­te. Trotz des Urteils wer­den laut dem Spre­cher auch heu­te noch alle Anträ­ge auf Sui­zid­hil­fe durch Abga­be eines lebens­be­en­den­den Medi­ka­men­tes an Ster­be­wil­li­ge abge­lehnt, unab­hän­gig von der Schwe­re ihres Lei­dens.  

Aus der Sicht des pen­sio­nier­ten Arz­tes und Buch­au­tors (z. B. „Abschied vom Leben“) Dr. Micha­el de Rid­der geht aus dem Urteil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­rich­tes, dass er selbst durch sei­ne Kla­ge mit her­bei­ge­führt hat­te, ein kla­rer Auf­trag an die Regie­rung her­vor, eine neue gesetz­li­che Rege­lung zu schaf­fen. Die drei bis­her vor­ge­leg­ten Geset­zes­vor­schlä­ge kri­ti­siert er jedoch als rea­li­täts­fern und zu ein­schrän­kend in Bezug auf das Recht auf selbst­be­stimm­tes Ster­ben.

Eine neue Per­spek­ti­ve brach­te Nadi­ne Hen­nig von der Pal­lia­tiv­pfle­ge Bethel in die Dis­kus­si­on ein. Aus ihrer Sicht kön­ne ein Aus­bau qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­ger Pal­lia­tiv­ar­beit viel bewir­ken und den Wunsch nach Ster­be­hil­fe redu­zie­ren. Laut Prof. Birn­ba­cher sei­en jedoch wei­ter­hin min­des­tens fünf Pro­zent aller Krebs­pa­ti­en­ten auch trotz opti­ma­ler Schmerz­be­hand­lung nicht schmerz­frei, sodass Pal­lia­tiv­pfle­ge nicht für alle die bes­te Lösung sei.

Einig­keit herrsch­te bei allen, dass ins­ge­samt stär­ker auf die Bedürf­nis­se und die Situa­ti­on des ein­zel­nen Pati­en­ten und Ster­be­wil­li­gen ein­ge­gan­gen wer­den müs­se. Laut Hen­nig gäbe es wei­ter­hin zu vie­le Pati­en­ten­ver­fü­gun­gen, die kei­ner­lei Berück­sich­ti­gung fin­den wür­den. Dr. de Rid­der klag­te an, dass auf Inten­siv­sta­tio­nen häu­fig eine soge­nann­te Über­the­ra­pie zur Ster­be­ver­zö­ge­rung statt­fin­de, die oft­mals nicht im Sin­ne des Pati­en­ten­wun­sches sei.

„Ster­ben muss als Teil des ganz nor­ma­len Lebens gese­hen wer­den und soll­te ein ruhi­ges Erwar­ten des von vorn­her­ein Fest­ste­hen­den sein“, so Prof. Birn­ba­cher, der damit tref­fen­de Schluss­wor­te für die Ver­an­stal­tung fand.