Deutschlands Verständnis von weltanschaulicher Neutralität

Im Iran hal­ten die Pro­tes­te an – Frau­en neh­men ihre Kopf­tü­cher ab und ver­bren­nen sie auf offe­ner Stra­ße. Ein Befrei­ungs­kampf, für den sie Ver­haf­tung, Ver­ge­wal­ti­gung, Fol­ter und den Tod ris­kie­ren, und tun es den­noch. Etli­che Kilo­me­ter ent­fernt, in Ber­lin, gibt es momen­tan eine Debat­te, die in eine ganz ande­re Rich­tung geht. Die „Expert*innenkommission anti­mus­li­mi­scher Ras­sis­mus“ spre­chen sich dafür aus, das Ber­li­ner Neu­tra­li­täts­g­setz abzu­schaf­fen, wel­ches es Beschäf­tig­ten des Lan­des Ber­lin unter­sagt, sicht­ba­re reli­giö­se oder welt­an­schau­li­che Sym­bo­le zu tra­gen, wel­che eine Zuge­hö­rig­keit zu einer bestimm­ten Reli­gi­ons- oder Welt­an­schau­ungs­ge­mein­schaft demons­trie­ren. Dazu zäh­len laut Geset­zes­text auch Klei­dungs­stü­cke, das Kopf­tuch also ein­ge­nom­men. Dage­gen spricht sich die Kom­mis­si­on jetzt aus, da es eine „sys­te­ma­ti­sche und instu­tio­na­li­sier­te Dis­kri­mi­nie­rung gegen­über Frau­en mit Kopf­tuch ohne sach­li­che Recht­fer­ti­gung“ sei, wie der hpd zitiert. Sie emp­fiehlt dem Ber­li­ner Senat die Abschaf­fung die­ses Geset­zes. Phil­ipp Möl­ler, Vor­sit­zen­der des Zen­tral­rats der Kon­fes­si­ons­frei­en, schreibt hier­zu: „Um also die Dis­kri­mi­nie­rung von Frau­en in staat­li­chen Ein­rich­tun­gen zu bekämp­fen, will die­se Kom­mis­si­on das Sym­bol der Dis­kri­mi­nie­rung von Frau­en in staat­li­chen Ein­rich­tun­gen zulas­sen.“ Und wei­ter: „Selbst­ver­ständ­lich kön­nen Mus­li­min­nen auch in Ber­lin als Leh­re­rin­nen und Rich­te­rin­nen tätig sein – wenn sie bei der Arbeit das Kopf­tuch able­gen. Nicht die Frau­en sind uner­wünscht im Staats­dienst, son­dern die Frau­en­feind­lich­keit. So schützt Ber­lin sei­ne demo­kra­ti­schen Ein­rich­tun­gen gegen eine demo­kra­tie­feind­li­che Ideo­lo­gie.“

Einschränkung oder Ermöglichung von persönlicher Freiheit?

Über die­ses The­ma herrscht Unei­nig­keit – auch in pro­gres­si­ven Krei­sen. Die eine Sei­te sieht in dem Ver­bot von reli­giö­sen Sym­bo­len in staat­li­chen Insti­tu­tio­nen eine Ein­schrän­kung der per­sön­li­chen Frei­heit, die ande­re das genaue Gegen­teil. Wich­tig zu beto­nen im Bezug auf das Ber­li­ner Neu­tra­li­täts­ge­setz ist in jedem Fall, dass sich die­ses auf sämt­li­che Reli­gi­ons­ge­mein­schaf­ten bezieht und somit zu Tren­nung von Kir­che und Staat bei­trägt. Wie es in der Prä­am­bel des dazu­ge­hö­ri­gen Geset­zes­tex­tes heißt: „Alle Beschäf­tig­ten genie­ßen Glau­bens- und Gewis­sens­frei­heit und die Frei­heit des reli­giö­sen und welt­an­schau­li­chen Bekennt­nis­ses. Kei­ne Beschäf­tig­te und kein Beschäf­tig­ter darf wegen ihres oder sei­nes Glau­bens oder ihres oder sei­nes welt­an­schau­li­chen Bekennt­nis­ses dis­kri­mi­niert wer­den. Gleich­zei­tig ist das Land Ber­lin zu welt­an­schau­lich-reli­giö­ser Neu­tra­li­tät ver­pflich­tet. Des­halb müs­sen sich Beschäf­tig­te des Lan­des Ber­lin in den Berei­chen, in denen die Bür­ge­rin oder der Bür­ger in beson­de­rer Wei­se dem staat­li­chen Ein­fluss unter­wor­fen ist, in ihrem reli­giö­sen oder welt­an­schau­li­chen Bekennt­nis zurück­hal­ten.“

Kreuzerlass in Bayern

Deutsch­land hat sich zur welt­an­schau­li­chen Neu­tra­li­tät ver­pflich­tet und genau dies tut auch das Ber­li­ner Neu­tra­li­täts­ge­setz. Das heißt aber nicht, dass die Bun­des­re­pu­blik sich hier einig ist. Eini­ge Bun­des­län­der wei­ter, in Bay­ern, hat­te Minis­ter­prä­si­dent Mar­kus Söder bei sei­nem Amts­an­tritt ver­an­lasst, dass in allen bay­ri­schen Amts­stu­ben Kreu­ze hän­gen müs­sen. Der Bund für Geis­tes­frei­heit Bay­ern und Mün­chen hat­te gegen die­sen Beschluss geklagt, was erst im Juni vom Bay­ri­schen Ver­wal­tungs­ge­richts­hof abge­lehnt wor­den ist und Anfang Sep­tem­ber kamen die Begrün­dun­gen für die­se Ent­schei­dung. Der BayVGH räum­te zwar ein, dass damit das Neu­tra­li­täts­ge­bot nicht gewahrt wird, da das Kreuz ein kla­res Sym­bol christ­li­cher Reli­gi­on sei und nicht getrennt davon gese­hen wer­den kön­ne, sieht dar­in aber kei­ne Ver­let­zung von Gleich­be­hand­lung oder Grund­ge­set­zen. Da sie in den Dienst­ge­bäu­den eine pas­si­ve Ver­wen­dung hät­ten und nicht zur Indok­tri­nie­rung oder Mis­sio­nie­rung ver­wen­det wer­den, wür­den sie kei­ne Nach­tei­le für ande­re Reli­gi­ons- und Welt­an­schau­ungs­ge­mein­schaf­ten bedeu­ten.

Auf der einen Sei­te das Kopf­tuch als Sym­bol der Reli­gi­ons­zu­ge­hö­rig­keit ver­bie­ten und auf der ande­ren das Kru­zi­fix vom Chris­ten­tum tren­nen – die Ver­pflich­tung zur welt­an­schau­li­chen Neu­tra­li­tät muss für alle gel­ten. In einem säku­la­ren Staat darf es kei­ne kirch­li­chen Son­der­rech­te geben.