Du siehst in einem Geschäft ein schönes T‑Shirt, was dir gefällt, und – was ein Glück, ein richtiges Schnäppchen! – es kostet nur 4,99 €! Doch sicherlich hast du dich in solchen Moment auch schon gefragt: Wie können die das überhaupt so günstig anbieten? Machen sie damit nicht Verlust? Tatsächlich (leider) nicht. Um zu verstehen, warum das so ist, müssen wir uns die verschiedenen Stationen der Lieferkette deines T‑Shirts an-schauen, bei der der Weg eines Produkts vom Rohstoff bis zum Endverbraucher betrachtet wird.
Wir beginnen unsere Reise in Indien, denn hier gibt es mit 6.131.050 Tonnen pro Jahr die größte Baumwollproduktion – gefolgt von China und den Vereinigten Staaten. Hier wird die Baumwolle gepflückt, die später für das T‑Shirt verarbeitet wird. Obwohl Kinderarbeit in vielen dieser Länder eigentlich verboten ist, gibt es hier teilweise immer noch Kinder, die auf den Feldern arbeiten.
Als nächstes reisen wir in die ca. 4.500 km entfernte Türkei. Hierhin wird die Baumwolle transportiert, um daraus Garn herzustellen. Auch an dieser Station können wir Arbeitsbedingungen beobachten, die moderner Sklaverei gleichen: Junge Mädchen, die bis zu 14 Stunden am Tag für einen Hungerlohn arbeiten.
Wir reisen weiter nach Taiwan – eine Fahrtstrecke von über 10.600 km. Dort wird aus dem zuvor gewonnen Garn mithilfe von Strickmaschinen Stoff produziert. In seiner natür-lichen Färbung ist die Baumwolle beige, weswegen sie nun auf Containerschiffe verla-den und weiterverschifft wird.
Um die gewünschte Farbe zu bekommen, wird der beige Baumwollstoff nun nach einer weiteren 2.700 km langen Reise in China gebleicht und gefärbt. Für einen sehr geringen Lohn müssen die Arbeiter*innen hier meist ohne Schutzkleidung mit starken und gesundheitsschädlichen Chemikalien die Stoffe bearbeiten. Und auch die Umwelt leidet: Oftmals werden die giftigen Chemikalien anschließend einfach in die Flüsse geleitet.
Als nächstes muss unser T‑Shirt genäht werden, dafür reisen wir knapp 3.500 km weiter nach Bangladesch. Im Jahr 2013 sorgte das Land für traurige Schlagzeilen: Bei dem Einsturz von Rana Plaza starben aufgrund von Sicherheitsmängeln über 1.138 Menschen.
Nun haben wir unser fertiges T‑Shirt und reisen damit ca. 7.200 km nach Deutschland, um es dort in den Handel zu bringen.
Wir haben nun 28.500 km hinter uns – für die Herstellung eines T‑Shirts, an dem so viele Menschen gearbeitet haben, das fast einmal um die ganze Welt geflogen ist und das jetzt für 4,99 € im Geschäft verkauft wird. Wie es für uns so günstig sein kann? Weil nicht wir den Preis dafür bezahlen, sondern die Menschen und die Umwelt auf dem Weg zu uns.
Auch die Nutzung und die Entsorgung des T‑Shirts sind Schritte der Lieferkette. Wie schädlich die Entsorgung ist, hängt sehr individuell davon, wie diese erfolgt. Die nach-haltigste Möglichkeit ist es, Abfall zu vermeiden und Textilien weiterzuverwenden. Das würde z. B. bedeuten, eine Hose zu nähen oder aus einem T‑Shirt eine Tasche zu nähen. Umgekehrt wäre die umweltschädlichste Methode der Entsorgung die Deponierung. Hier landen Abfälle, die nicht beseitigt werden können und auf einer Deponie dann endgela-gert werden.
Quelle: Dossier Fast Fashion 2019, Romero Initiative (CIR).
Illustration: Nikola Berger — nikobe.net
Viele der Probleme, die es in der Lieferkette gibt, sind dir sicherlich schon während der Reise aufgefallen. Hier aber noch einmal ein kurzer Überblick über die Probleme in der Lieferkette, für deren Beseitigung wir uns gemeinsam einsetzen möchten.
In vielen Teilen der Welt sind die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie unzureichend. Auch wenn sich nach beispielsweise dem Einsturz einiges verbessert hat, sind niedrige Löhne, lange Arbeitszeiten und keine ausreichenden Gesundheits- und Sicherheitsstandards sind an der Tagesordnung. Es gibt meist keine Vereinigungsfreiheit und somit keine Möglichkeit, eine Gewerkschaft zu gründen, die sich für die Belange der Menschen vor Ort einsetzen könnte. Insbesondere in Ländern mit schwachen Arbeitsgesetzen sind Menschenrechtsverletzungen wie Zwangsarbeit, Kinderarbeit und Diskriminierung weit verbreitet.
Die Textilproduktion ist darüber hinaus oft mit gravierenden Umweltauswirkungen verbunden – sei es durch den Einsatz schädlicher Chemikalien bei der Veredelung, die Verwendung von Tonnen an Pestiziden auf den Baumwollfeldern oder die große Menge an Wasser und Energie, die für die Produktion benötigt wird. Für ein einziges T‑Shirt wird im Schnitt 2.300 l Wasser benötigt. Ein eindrucksvolles und zugleich trauriges Bild für die enormen Umweltauswirkungen zeigt sich im Aralsee. Lange Zeit zählte der Aralsee an der Grenze von Kasachstan zu Usbekistan zu den größten Binnengewässern der Erde. Doch nachdem die sowjetische Regierung begann, das Wasser des Sees zur Bewässerung von Baumwollplantagen umzuleiten, begann der See allmählich auszutrocknen. Der kasachische Teil konnte zwar durch den Bau eines Staudamms gerettet werden, doch der südliche Abschnitt ist 50 Jahre später fast gänzlich verlandet. Die Menschen in der Region kämpfen heute mit den verheerenden Folgen dieser Entwicklung: verschlechterte Luftqualität, giftige Sandstürme häufen sich und die Fischer verlieren ihre Existenzgrundlage.
Hier findet ihr eine Zeitrafferaufnahme eines NASA-Satelliten, wie der Aralsee langsam verschwindet:
Die Textilindustrie ist von einer extremen Wegwerfkultur geprägt, was zu enormen Ab-fallmengen und Umweltbelastungen führt. Die zahlreichen Fast-Fashion-Label wie Shein, Primark etc. bringen jede Woche mehrere tausend neue Designs auf den Markt. Diese Kleidung ist dabei nicht auf Qualität und Haltbarkeit ausgelegt, sondern auf eine schnelle Produktion und den neusten Trend. Die Deutschen besitzen im Durchschnitt 95 Kleidungsstücke – das sind etwa 5,2 Milliarden insgesamt. Davon wird jedes fünfte so gut wie nie (max. 2x insgesamt) und genauso viele selten getragen (seltener als alle 3 Monate). Das bedeutet, dass knapp 2 Milliarden (40 %) Textilien ungenutzt für den Schrank produziert wurden. Hinzu kommt, dass diese nur kurz genutzt werden. In einer Umfrage von Greenpeace wurden hierzu über 1.000 Personen befragt und die Hälfte trägt ihre Schuhe weniger als 3 Jahre – genauso bei Oberteilen und Hosen. 83 % hatten noch nie Kleidung getauscht und über die Hälfte hat auch noch nie Textilien weiterverkauft oder selbst gebraucht gekauft.
Doch was können wir ändern? Was sind Möglichkeiten, die Situation von Menschen und Umwelt entlang der Lieferkette zu verändern? Und was bedeutet das für uns selbst?
In der Vergangenheit gab es immer wieder Menschenrechts- und Umweltverletzungen im Kontext von (globalen) Lieferketten: nicht ausreichende Transparenz, viel zu geringe Sicherheitsbestimmungen für Mensch und Umwelt, menschenunwürdige Bedingungen für Näher*innen und noch viel mehr. Einige dieser Probleme werden mit dem Lieferkettengesetz angegangen. Dieses Gesetz nimmt die Unternehmen stärker in die Verantwortung, sich darum zu kümmern, was entlang ihrer Wertschöpfungskette passiert. Gleichzeitig wird es für die betroffenen Arbeiter*innen leichter möglich sein, beispielsweise im Falle eines Arbeitsunfalls aufgrund mangelnder Sicherheitsmaßnahmen, Schadensersatz zu erhalten.
Seit 2023 gilt das deutsche Lieferkettengesetz und Ende April 2024 hat das EU-Parlament dem EU-Lieferkettengesetz zugestimmt. Wir haben euch dazu mehrere Beiträge auf Instagram hochgeladen und auf der Webseite der Initiative Lieferkettengesetz könnt ihr dazu auch noch weiter informieren.
World Business Council for Sustainable Development
Am 24. November 2012 kamen beim Brand von Tazreen über 110 Textilarbeiter*innen in Bangladesch ums Leben. Genau sechs Monate später starben in den Trümmern von Rana Plaza mehr als 1.100 Menschen, die Kleidung für internationale Modeunternehmen nähten. Das „Abkommen für Gebäudesicherheit und Feuerschutz in Bangladesch“ (Bangladesh Accord) war eine Reaktion auf diese Tragödien und hat erfolgreich dazu beigetragen, solch vermeidbare Katastrophen in der Bekleidungsindustrie zu verhindern, wo alle anderen Programme versagt haben. Der Accord in Bangladesch gilt als der erfolg-reichste Mechanismus zur Verbesserung der Sicherheit am Arbeitsplatz weltweit. Mit ihm sollen angemessene Gesundheits- und Sicherheitsstandards geschaffen werden, die Brände, Gebäudeeinstürze und weitere Unfälle verhindern.
Das Abkommen ist eine rechtsverbindliche Vereinbarung zwischen globalen Marken, Einzelhändler*innen, IndustriALL Global Union & UNI Global Union und acht ihrer bangladeschischen Mitgliedsgewerkschaften, um auf eine sichere und gesunde Bekleidungs- und Textilindustrie in Bangladesch hinzuarbeiten.
Mehr als 220 Unternehmen haben die auf fünf Jahre angelegte Vereinbarung 2013 unter-zeichnet. Bis zu ihrem Ablauf im Mai 2018 hat diese Vereinbarung zu deutlich sichereren Arbeitsplätzen für Millionen von Bekleidungsarbeiter*innen in Bangladesch beigetragen. Um diese Fortschritte aufrechtzuerhalten und auszubauen, haben über 190 Marken und Einzelhändler*innnen die Übergangsvereinbarung 2018 mit den globalen Gewerkschaften unterzeichnet. Zwei Jahre später, im Juni 2020 ging die Umsetzung der Vereinbarung auf den RMG Sustainability Council (RSC) über.
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